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Von Rio nach Luzern – oder wohin ein starker Wille führt

Ihre Beharrlichkeit, ihr Wille und besonders ihr grosses Herz haben Mayara De Oliveira weit gebracht. Um genau zu sein: Von den Favelas in Rio de Janeiro bis zur Fachfrau Betreuung in der Kita Campus Luzern. Eine Geschichte über eine junge Frau, die ihre Chance gepackt hat.

Text: Daniela Barmettler / Bild: Christoph Arnet
Erschienen im Zebi Magazin 2021, 6.11.2021

Im zweiten Stock der Kita Campus Luzern taucht man ein in eine bunte, schon fast zauberhafte Welt: Zeichnungen schmücken die Wände, die Türen sind mit farbigen Tüchern dekoriert, in der Ecke stapeln sich zahlreiche Kissen und laden zum Kuscheln ein und überall sind Spielsachen zu finden. Auf den ersten Blick wird klar: Hier schlagen die Kinderherzen höher. Aber nicht nur diese, sondern auch jenes von Mayara De Oliveira. «Es war seit jeher mein Wunsch, mit Kindern zu arbeiten», sagt die 29-Jährige strahlend. Ursprünglich habe sie Lehrerin werden wollen, «doch das war für mich stets ein unerreichbarer Traum», sagt Mayara. 

Keine Kindheit in den Favelas

Blickt man 20 Jahre zurück in ihre Kindheit, ist diese Aussage durchaus verständlich. Mayara wuchs mit ihrer Familie in den Favelas von Rio de Janeiro auf. Armut, Hunger und Gewalt hat sie bereits als kleines Mädchen hautnah erlebt. «Jeden Tag habe ich vor der Tür auf meinen Vater gewartet in der Hoffnung, dass ihm nichts zugestossen ist und er gesund nach Hause kommt», erinnert sie sich. Sie habe keine Kindheit erlebt, was sie besonders stark geprägt hat. «Mit sieben Jahren war ich für den Haushalt zuständig. Ich musste kochen, waschen und auf Kinder aus der Nachbarschaft aufpassen», erzählt Mayara und ergänzt, «aber eigentlich war ich ja selbst noch ein Kind.» Auch wenn das für die gebürtige Brasilianerin schmerzliche Erinnerungen sind, habe sie die Rolle als «Kinderbetreuerin» nie losgelassen. «Doch in Brasilien eine Ausbildung zur Lehrerin zu absolvieren, wäre für mich nie möglich gewesen», ist Mayara überzeugt.

«ES BRAUCHT IMMER ANDERE MENSCHEN, DIE EINEN UNTERSTÜTZEN. ICH HABE GELERNT, DIESE HILFE ANZUNEHMEN.»
Mayara De Oliveira, Fachfrau Betreuung EFZ 

Neues Leben in der Schweiz 

Es kam ganz anders: Dass die heute 29-jährige Brasilianerin in die Schweiz kam, ist der Liebe ihrer Mutter geschuldet. Die verliebte sich nämlich in einen Schweizer Touristen und zog mit ihm in die Zentralschweiz. Mayara war damals zehn Jahre alt und fand sich in einer «komplett anderen Welt» wieder: Berge statt Meer, Deutsch statt Portugiesisch, Kappe statt Flipflops, voller Kühlschrank statt Hunger – und mit dem Rassismus frontal konfrontiert. «Ich musste mir vieles anhören, wurde diskriminiert», erzählt sie und ihr Blick wird ernst. Die Integration sei schwierig gewesen und habe sehr viel Kraft gekostet. Geschafft habe sie es dank einem guten Umfeld: «Es braucht immer andere Menschen, die einen unterstützen. Ich habe gelernt, diese Hilfe anzunehmen.» 

Mit Beharrlichkeit zum Berufsabschluss 

Wie wichtig Familie und Freunde sind, durfte Mayara auch wieder in den vergangenen drei Jahren erfahren. Sie hat im Sommer 2021 erfolgreich ihre Ausbildung zur Fachfrau Betreuung EFZ abgeschlossen – nebst Haushalt und einer eigenen Familie mit drei Kindern. «Ich bin unendlich stolz auf mich. Ich habe etwas in meinem Leben erreicht, das mir niemand mehr nehmen kann.» 

Der Weg dazu war aber lang: Mayara wurde mit 18 Jahren – also nach ihrem Schulabschluss – zum ersten Mal Mutter und hat sich die anschliessenden Jahre liebevoll um ihre Familie gekümmert. Um zum Lebensunterhalt beizutragen, jobbte sie immer mal wieder in der Gastronomie oder in Fabriken. Es sei schwierig gewesen, eine Arbeit zu finden. Aber die Kämpferin liess sich einmal mehr nicht unterkriegen und erhielt von der Schweizerischen Stiftung für Arbeit und Weiterbildung einen Praktikumsplatz im Hausdienst an der PH Luzern. Mayara erkannte sofort, dass dies ihre Chance ist, und arbeitete hart. So bekam sie ein Praktikum in der Kita Campus der PH Luzern und damit Einblick in das Berufsfeld der Kinderbetreuung. Mayara kann auch heute noch nicht genau beschreiben, wie sie sich damals fühlte: «Es ging ein grosser Traum in Erfüllung.» Und dann gab es für sie kein Halten mehr: «Ich wollte diesen Abschluss unbedingt.» Das sagt die aufgeweckte junge Frau mit so viel Nachdruck und Begeisterung, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass es auch schwierige Zeiten gab: «Es war sehr anspruchsvoll, alles unter einen Hut zu bringen.» Doch sie durfte auf die grosse Unterstützung ihres Mannes und ihrer Kinder (zehn, neun und fünf Jahre) zählen. «Oft machen wir zusammen Hausaufgaben», erzählt sie lachend.

«WIR MÜSSEN DANKBAR SEIN, DASS WIR ZU ESSEN HABEN. ZU DEN DINGEN, DIE WIR BESITZEN, SOLLEN WIR SORGE TRAGEN UND ALLE MENSCHEN SO RESPEKTIEREN, WIE SIE SIND.»
Mayara De Oliveira, Fachfrau Betreuung EFZ 

Voll des Lobes ist Mayara für ihre Klasse in der Berufsschule. Anfänglich hatte sie schon Bedenken wegen des Altersunterschieds. Doch diese Sorge war rasch verflogen: «Es waren alle sehr herzlich und hilfsbereit. Inzwischen sind daraus wertvolle Freundschaften entstanden.»

Werte vermitteln 

Jetzt, als ausgebildete Fachfrau Betreuung, will Mayara all ihre Erfahrungen den Kindern mit auf den Weg geben: «Wir müssen dankbar sein, dass wir zu essen haben. Zu den Dingen, die wir besitzen, sollen wir Sorge tragen und alle Menschen so respektieren, wie sie sind.» In der Zusammenarbeit mit den Kindern könne sie vieles bewirken und ihnen all das ermöglichen, was sie nicht hatte. Und was ihr ganz besonders am Herzen liegt: «Ich möchte sie ermutigen, all ihre Träume mit grossem Willen zu verfolgen und auf dem Weg dorthin niemals aufzugeben.» Mayara wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht schon nächste Ziele hätte. Sie möchte ein Studium im Bereich Pädagogik in Angriff nehmen. «Jetzt bin ich gerade so gut drin und möchte nicht noch lernfaul werden», sagt sie und lacht herzlich. 

MEIN WEG

Fachfrau Betreuung EFZ

Praktikum in der KITA Campus der PH Luzern

Praktikum als Mitarbeiterin Hausdienst

Sekundarschule

Primarschule